Volksbegehren gegen das Abitur G8 gescheitert = Ende der Diskussionen?

In Niedersachsen führte bereits 2011 eine von der Erziehungsgewerkschaft GEW und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unterstützte Initiative von Eltern und Lehrern zur Abschaffung des Turbo-Abiturs G8 nicht zum Ziel. Auch die Freien Wähler Bayerns und eine Initiative in Hamburg hatten 2014 mit ihrer Unterschriftensammlung für die Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium sowie für G8 oder G9 keinen Erfolg.

Dennoch führten die öffentlich und teils sehr emotional geführten Bildungsdebatten um Schulreformen nicht nur auf politischer Ebene für manche Zerreißprobe. Auch unsere Bevölkerung blieb von den verschiedensten Meinungsäußerungen nicht unbeeindruckt. So wissen inzwischen Millionen deutscher Bildungsexperten, was das Beste für unsere Kinder ist, jeder natürlich aus seiner ganz persönlichen Sicht.

Von krummen Gurken, DIN-Normen und Bildung

sozialpaedagogik-57Die EU regelt die Krümmung der Gurken und die maximal mögliche Watt-Zahl für unsere Staubsauger. Deutschland gibt mit Hunderten von DIN-Vorschriften einheitliche Normen für Bauten oder technische Bauteile vor und begründet dies unter anderem mit hohem volks- und betriebswirtschaftlichen Nutzen, Qualitätssicherung und einem bedeutendem Beitrag zur Deregulierung. Doch was ist mit unserer Bildung? Warum kommen wir gerade in diesem ungemein wichtigen Bereich nicht zu transparenten und praktikablen Lösungen? Brauchen wird dort nicht auch klare Regeln, erstrebenswerte Qualitätsansprüche und Homogenität?

Wenn wir die unterschiedlichen Wege zum Abitur in den Bundesländern unter die Lupe nehmen, wird deutlich, dass wir von Homogenität meilenweit entfernt sind.

Abitur in den Bundesländern – G8, G9 und Ausnahmeregelungen

Die Abiturformen in unseren Bundesländern gleichen einem Flickenteppich. Während in Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, im Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen flächendeckend G8 eingeführt bzw. seit der Wende weitergeführt wurde, kehrt Niedersachsen im September 2015 flächendeckend zu G9 zurück.

In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen besteht im Rahmen gymnasialer Modellversuche die Möglichkeit, das Abitur erst nach 13 Schuljahren zu erlangen.

In Schleswig-Holstein und Hessen haben Schüler teilweise die Wahl zwischen G8 und G9, wohingegen in Rheinland-Pfalz G8 ohnehin nur an einigen Ganztagesgymnasien angeboten wird.

Ob den gescheiterten Volksbegehren in Bayern und Hamburg weitere Initiativen zur Aufweichung von G8 folgen, wird sich zukünftig zeigen.

Nichtsdestotrotz ist auch eine Reform der Reform umstritten und wäre sehr wahrscheinlich mit noch mehr Durcheinander verbunden.

Schulstress oder viel Lärm um Nichts?

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) bereits zum 11. Mal beauftragt, bildungspolitische Fortschritte in verschiedenen Handlungsfeldern zu ermitteln. So wurden neben ökonomischen Einflüssen oder Wertschöpfungsketten in der Fachkräftesicherung auch mögliche Unterschiede in den Leistungen von G8- und G9-Schülern untersucht. Schwerpunkte waren dabei die Schulverweildauer, erreichte Bildungsergebnisse und Schulqualität sowie Wohlbefinden der Schüler und die Förderinfrastruktur.

Die Ergebnisse der im „Bildungsmonitor 2014“ veröffentlichten Analysen dürfte Wasser auf die Mühlen der G8-Verfechter sein und zudem die von Anfang an umstrittene Bildungsreform stärken: Schüler mit SP_logo16_Gutzuwisseneiner 8-jährigen Gymnasialzeit erlangen ebenso gute Noten wie G9-Gymnasiasten. Die verkürzte Schulzeit führt demnach nicht zu einem nachweisbaren Leistungsabfall. Auch eine vergleichsweise höhere Durchfallquote von G8-Schülern lässt sich nicht belegen.

Auch die Sorge, dass G8-Schüler durch den dichteren Stundenplan weniger Hobbys ausüben können, hat sich so nicht bestätigt. Demnach haben zwar G8-Gymnasiasten real weniger Freizeit, fühlen sich aber keinesfalls dadurch beeinträchtigt oder benachteiligt.
Im Gegenteil: Sie widmen sich deutlich mehr als Schüler anderer Schulformen und G9-Gymnasiasten „bildungsorientierten Freizeitaktivitäten“ wie Sport, Musik, Tanz, Theater und Ehrenamt, was sich wiederum in deren Selbstwahrnehmung in einer höheren Lebenszufriedenheit widerspiegelt.

Dass sich ein kürzeres Abitur auch ökonomisch positiv bemerkbar macht – Gymnasien benötigen weniger Lehrer und Räume, Fachkräfte erreichen früher ins Erwerbsleben und zahlen damit länger in die Sozialkassen ein – gilt allgemein als unstrittig.

Perspektiven und Potenziale

Langzeitstudien und Evaluierungen zu möglichen Unterschieden zwischen G8 und G9 liegen auf Grund der bisherigen (kurzen) Laufzeit der Schulreform noch nicht vor. Die Erfahrungen der neuen Bundesländer, die das Abitur nach einer 12-jährigen Schulzeit schon vor der Wende erfolgreich praktiziert haben, werden (scheinbar) nicht hinreichend geschätzt und anerkannt.

Dennoch ist eine Rückwärtsrolle zu G9 aus unserer Sicht keine Option. Vielmehr bieten die grundhafte Überprüfung und Novellierung der Lehrpläne, die Vermittlung praktischer und lebensvorbereitender Fähig- und Fertigkeiten, kreative Schulleiter und motivierte Pädagogen sowie ein bundeseinheitliches Vorgehen im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen genug Potenzial für Qualitätsverbesserungen unmittelbar vor Ort.

Sind es wirklich die Schüler als eigentliche Hauptpersonen, die sich gegen G8 stemmen? Oder ist es nicht eher deren Umfeld wie Elternvertreter, Politiker und Teile der Lehrerschaft?

 

FAZIT:

Unsere Kinder und Jugendlichen werden immer früher selbstständig, möchten mitbestimmen und SP_logo16_FazitVerantwortung für ihr Leben übernehmen. Dann sollten wir ihnen mit gutem Gewissen auch zutrauen, dass Sie ihr Abitur mit einer Schulzeit von 12 Jahren in entsprechender Qualität und ohne seelischen Schaden bewältigen. Dafür brauchen wir Politiker und Bildungsverantwortliche, die für dieses Ziel die Steine aus dem Weg räumen und nicht nur anders anordnen!

 

 

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