Klasse Abi, nichts dahinter?

Neben den Debatten, ob nun das G8 oder G9-Abitur der Weisheit letzter Schluss ist, bietet auch die Qualität des Abiturs immer wieder Anlass für teils heftige Diskussionen.

Fakt ist, dass sich der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen weiter fortsetzt und vergleichsweise immer mehr Schüler für das Abitur entscheiden. Während vor 20 Jahren lediglich 27 % des Jahrgangs die allgemeine Hochschulreife erwarben, sind es heute inzwischen etwa 40 %.

Laut Statistischem Bundesamt haben im Jahr 2013 etwa 370.600 Schüler die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife erlangt. Zählen wir die ca. 106.500 Schüler mit Fachhochschulreife noch dazu, erwarben 2013 insgesamt 477.100 Jugendliche die Hochschulzugangsberechtigung.abitur zweiter bildungsweg

Bessere Noten und gesunkene Durchfallquoten – Sekt oder Selters?

Dass unsere Abiturienten heute besser benotet werden als noch vor einigen Jahren, ist inzwischen sogar zahlenmäßig belegt. So haben 2012 etwa 4.600 Gymnasiasten ein glattes Einser-Abitur erreicht, 40 % mehr als noch im Jahr 2006. Zudem haben sich mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern die durchschnittlichen Noten der Abiturienten zum Teil wesentlich verbessert.

Zudem können wir die gesunkene Abi Durchfallquote ins Feld führen, die früher als Beleg hoher schulischer Leistungsanforderungen durchaus einen positiven Anstrich hatte, wohingegen heute bei Schülerversagen die Rechenschaftspflicht zuerst bei der Schule und die Bringepflicht beim Lehrer liegt. Aus diesem Blickwinkel sind gute Noten eben doch besser für alle – für Schüler und für Lehrer, oder? Also Sekt?

Gute Abiturnoten, schlechte Qualität?

Die Begeisterung über die Verbesserung der Zensuren hält sich dennoch in Grenzen, da insbesondere Bildungsforscher die Ursachen nicht in einer Erhöhung des Bildungsniveaus, sondern vielmehr in einem leichteren Abitur, geschönten Bewertungskriterien und damit einem schleichenden Qualitätsverlust sehen.

Denn: Mit dem Zentralabitur können sich die Schüler durch den vorhandenen Aufgabenpool mit Lösungen effektiver auf die in der Prüfung geforderten Pflichtthemen vorbereiten, die allerdings meist thematisch schmal und zunehmend lernbarer sind.

In manchen Bundesländern können zudem durch bessere Noten in der „Besonderen Lernleistung“ – Ersatz für das 4. oder 5. Prüfungsfach – schwächere Zensuren ausgeglichen werden. Obendrein führt die stärkere Kompetenzorientierung dazu, dass abrufbares Sach- und Methodenwissen eine deutlich geringere Rolle innerhalb der Bildungsstandards und damit auch in der Benotung spielt.

Also doch Selters?

Beachtliches Abitur- und dann?

Eine gute Note hat inzwischen eine deutlich höhere Wertigkeit als die Bildungsqualität. Daher beschränken sich Unternehmen oder Bildungseinrichtungen bei Bewerbungen nicht mehr nur auf die Noten, sondern testen mit zusätzlichen und speziellen Kompetenztests die Eignung oder Nicht-Eignung der Abiturienten.

Zudem werden durch die große Zahl der Abiturienten mit Studienwunsch immer mehr Präsenz-Studiengänge mit einem Numerus Clausus belegt, so dass sich der Drang (auch Zwang) nach ausgezeichneten Noten bei vielen Schülern enorm verstärkt. Da ist es eine Überlegung wert, ans Abitur eine Berufsausbildung anzuschließen und nach einigen Jahren Berufserfahrung ohne NC ein Fernstudium zu absolvieren!

Gymnasien zwischen Baum und Borke

Gymnasien und gymnasiale Schulformen sollen möglichst ausreichend Gymnasiasten beschulen, verschiedenste Lehrformen umsetzen, Berufsorientierung betreiben, Lebenspraxis vermitteln, gute Noten verteilen und die Abiturienten mit wehenden Fahnen ins Berufsleben entlassen – und dies alles neben zufriedenen Eltern.

Der demografische Wandel führt auch bei den Gymnasien oder sonstigen gymnasialen Schulformen zum „Kampf“ um die Schüler. Zudem werden beispielsweise durch Gemeinschaftsschulen die Hürden für Kinder aus allen sozialen Schichten niedriger und führen zu einer großen Leistungsbandbreite. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass gute Abiturnoten innerhalb der Bildungskonkurrenz möglichst auf der Haben-Seite präsentiert werden sollen.

Die Wirtschaft fordert zu Recht Bildungsqualität. Die Hochschulen pochen auf ihren Numerus Clausus. Die Kultusministerien philosophieren über G8 oder G9. Eltern bekennen sich zwar zum Leistungsprinzip, aber nicht zum Leistungsdruck. Einige fordern Zugangsbeschränkungen für Gymnasien, um der „Inflation“ zu entgehen. Wer soll diese Interessen eigentlich alle kanalisieren?

 

FAZIT:

Das Abitur hat ohne Zweifel eine hohe gesellschaftliche Wertigkeit und eröffnet vielfältige Bildungschancen. Viele Jugendliche sehen für sich ohne Abitur keine berufliche Zukunft. Im SP_logo16_FazitUmkehrschluss stellen Unternehmen bevorzugt Abiturienten ein, obwohl für viele dieser Arbeitsplätze eigentlich gar kein Abitur nachholen notwendig wäre. Drehen wir uns im Kreis?

Gymnasien sollten aus unserer Sicht neben Sach-und Methodenwissen ebenso notwendige Kompetenzen vermitteln, für angehende Abiturienten Angebote für die Berufs- und Studienwahl initiieren, aber auch lebenspraktische Themen vermitteln. Gymnasien sind jedoch kein Austragungsort für bildungspolitische Experimente!

 

 

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